Machtergreifung der Nazis vor 90 Jahren - Nie wieder Faschismus!

Veröffentlicht am 02.02.2023 in Kreisverband

Zum Gedenken an den 90. Jahrestages der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland empfing unser Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzende Dr.Johannes Fechner den Waldkircher Militärhistoriker und Friedensforscher Prof. Wolfram Wette und unseren ehemaligen Europa- und Bundestagsabgeordneten Dietrich Elchlepp aus Denzlingen zu einer Vortragsveranstaltung im Rathaussaal des Alten Rathauses in Emmendingen. Im Anschluss an die Vorträge beteiligten sich die zahlreich erschienenen Bürgerinnen und Bürger an einer lebhaften Debatte zu den Geschehnissen von 1933 und den daraus resultierenden Lehren für die Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie. 

Die Reden der beiden Referenten sowie Fotos der Veranstaltung finden Sie unter "weiterlesen". 

 

​​v.links: Dietrich Elchlepp, MdEP a.D., Prof. Wolfram Wette, Dr. Johannes Fechner, MdB

Vortrag Wolfram Wette

Vor 90 Jahren: 30. Januar 1933 - Machtübertragung auf Hitler

Veranstaltet vom SPD-Kreisverband Emmendingen

am 30. Januar 2023 in Emmendingen, Saal des Alten Rathauses

 

  1. Erinnern an 1933 – zu welchem Zweck?

Warum beschäftigen wir uns mit einem politischen Ereignis, das 90 Jahre zurückliegt? Was soll das überhaupt mit dem historischen Erinnern, das hierzulande womöglich intensiver als anderswo betrieben wird? Nostalgie mit Wohlfühleffekt kann es kaum sein. Totes Wissen wollen wir auch nicht anhäufen. Was uns immer wieder zum Erinnern motiviert, ist die Hoffnung, dass man aus der Geschichte lernen kann.

Hans-Ulrich Wehler, einer der bedeutendsten deutschen Historiker des vorigen Jahrhunderts, antwortete einmal auf die allgemeine Frage „Kann man aus der Geschichte lernen?“ mit der knappen Gegenfrage: „Woraus denn sonst?“ Ich denke, diese Antwort kann man sich einprägen. Man sollte sie allerdings nicht in der Weise fehlinterpretieren, dass sich Geschichte 1:1 wiederholt. Aber es gibt Bedingungen, Abläufe, Aktionen und Reaktionen, Zusammenhänge, die sich ähneln.

  1. Warnungen vor Hitler vor 1933

Politisch aufgeweckte Menschen in Deutschland konnten sich in der Endphase der Weimarer Republik 1930-1933 durchaus eine Vorstellung davon machen, was zu befürchten war, wenn Hitler an die Macht kommen sollte:

  • Die endgültige Zerstörung des Systems der Weimarer Demokratie, das den deutschen Nationalisten insgesamt verhasst war,
  • die Bekämpfung und Verfolgung ihrer Repräsentanten, die Ausschaltung der politischen Parteien zugunsten der Einheitspartei NSDAP,
  • die Praktizierung eines radikalen Antisemitismus,
  • den Aufbau eines autoritären Staates nach dem Führerprinzip,
  • die Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, die Verfolgung aller Andersdenkenden, und schließlich:
  • Die Militarisierung der gesamten Gesellschaft mit dem Ziel einer gewaltsamen Revision des Versailler Vertrages und, weit darüber hinausgehend, die kriegerische Eroberung von „Lebensraum im Osten“.

Vergeblich hatten die linksstehenden Gegner der NSDAP in den Jahren 1930-1933 immer wieder gewarnt: „Hitler bedeutet den Krieg!“

  1. Wahlerfolge der NSDAP

Trotz dieser klarsichtigen Prophezeiung wählten in den Jahren 1930-1933 Millionen von Menschen, die von einem nationalen Wiederaufstieg Deutschlands träumten, die NSDAP. In den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932 wurde die Hitler-Partei mit weitem Abstand stärkste Partei, woraus sie die naheliegende Forderung ableitete, dass der „Führer“ der NSDAP Reichskanzler werden müsse – auch wenn er keine absolute parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte. Aber die Reichskanzler Heinrich Brüning, Franz v. Papen und Kurt von Schleicher regierten ja ebenfalls unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten, lediglich legitimiert durch einen Regierungsauftrag des Reichspräsidenten.

Das Problem bestand also nicht in der Frage, ob die Ernennung Hitlers legal war oder nicht, sondern es bestand in dem systemsprengenden politischen Katastrophenprogramm, das sich – aus Sicht der demokratisch orientierten Hitler-Gegner – in der nationalsozialistischen „Bewegung“ verkörperte.

  1. Die Machtübertragung und die nachfolgende Machteroberung

Die Machtübertragung[1] fand am 30. Januar 1933, 11 Uhr vormittags, im Büro des Reichspräsidenten Paul v. Hindenburg statt. Dieser ernannte Hitler formell zum Reichskanzler. Gleichzeitig berief er eine Reihe von Ministern, alle männlich, aus den Reihen der NSDAP und der – weit rechts stehenden – Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Vizekanzler im Kabinett Hitler wurde der Deutschnationale Franz von Papen.

Damit war der „Führer“ der rechtsextremistischen Nazi-Partei an der Macht. Hindenburgs Schritt war nicht alternativlos. Er hätte auch anders handeln können. So trägt er die Verantwortung.

Das Konzept der Nazis war damit aufgegangen: Seit dem misslungenen Putsch von 1923 hatten sie auf die Taktik der legalen Machtübernahme gesetzt und diesen Weg auch bis 1933 konsequent durchgehalten. Die eigentliche Machteroberung vollzog sich hernach in einem etwa zweijährigen Prozess.

  1. Die Rezeption des 30. Januar 1933 in der Provinz

Wie wurden die Berliner Vorgänge in der Provinz wahrgenommen? Zum Beispiel in Waldkirch? Wir wollen einen Blick dorthin werfen, wo das Leben konkret war. Welche Reaktionen löste Hitlers Reichskanzlerschaft hier aus? Hatte man eine Vorstellung davon, dass mit dem Rechtsextremisten Hitler an der Macht ein „Weg in die Katastrophe“[2] begann, um ein Wort des Historikers Heinrich August Winkler zu benutzen? Oder ging hier das Leben einfach weiter, als ob nichts Bedeutendes geschehen wäre?

Befragt man die zeitgenössischen lokalpolitischen Quellen, so deutet wenig darauf hin, dass die Menschen in den südbadischen Gemeinden sogleich in vollem Umfang begriffen hätten, dass die am 30. Januar 1933 begonnene politische Reise geradewegs in einen Unrechtsstaat und später in den Krieg führen würde. Was sie wirklich wollte, wusste die Nazi-Partei auch recht gut zu verschleiern. Sie war wie zuvor bestrebt, ihre Aktionen mit einer Legalitätskulisse zu tarnen.

  1. Das Beispiel Waldkirch

Im Februar 1933 feierte man in Waldkirch und im gesamten Elztal die Fasnet – wie in jedem Jahr zuvor. Nichts deutete darauf hin, dass die Ernennung Hitlers in der südbadischen Provinz zu lebhaften öffentlichen Diskussionen geführt hätte.[3] Die machtpolitischen Veränderungen in der fernen Reichshauptstadt Berlin waren „weit weg“. Die scheinen wie ein entferntes Donnergrollen wahrgenommen worden zu sein. Was wir im Rückblick als einschneidende Zäsur erkennen können, als einen Wendepunkt zur Katastrophe hin, kam damals nicht mit großem Getöse daher, sondern eher wie ein schleichendes Gift.

Zug um Zug wurden die Waldkircher Ortsgruppen der linken politischen Parteien und Organisationen aufgelöst und verboten. Die Reihenfolge ergab sich aus dem Grad ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Gelegentlich wurde Gewalt angewendet; aber auffallender noch war die Bereitschaft der bürgerlichen Parteien und Verbände zur freiwilligen Selbstgleichschaltung. Damit ebneten sie vielen Einzelnen den Weg zur bereitwilligen Kooperation.  

  1. Das Ende der SPD in Waldkirch und im Elztal

Die SPD verstand sich als die eigentliche Trägerin der Weimarer Demokratie. Dass sie seit 1930 auf Reichsebene nicht mehr an der Regierung beteiligt war, zeigte auch den Niedergang der Demokratie an. Die SPD sackte auf einen Stimmenanteil von 20 % ab. Das Rechenspiel, dass die Arbeiterparteien SPD und KPD zusammen noch immer stärker waren als die NSDAP, hatte politisch betrachtet keine Bedeutung, da die KPD die SPD als „Sozialfaschisten“ verteufelte und eine Zusammenarbeit daher nicht infrage kam.

In den Versammlungen der Waldkircher SPD um den Jahreswechsel 1932/33 präsentierte sich die Partei noch einmal mit ihrem Reichstagsabgeordneten Stefan Meier aus Freiburg als Redner und mit ihrem kulturellen Umfeld: der Freien Turnerschaft, dem Arbeitergesangsverein, dem Sängerbund, dem Radfahrverein Solidarität und den Gästen aus Emmendingen, nämlich der Akrobatengruppe der Freien Turnerschaft. Es wurde gelacht und getanzt, aber die politische Stimmung war eher von Resignation gekennzeichnet.[4]

Dass Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, erfuhr man Ende Januar aus dem Radio. Auf diesem Wege nahm man auch die Aufmärsche und Fackelzüge der NSDAP in Berlin wahr. Jetzt strömten nicht wenige Opportunisten in die örtliche NSDAP. Karl Jägers SS-Sturm, der sich als Elitetruppe fühlte, marschierte noch stolzer als bislang schon durchs Städtle. Die Gegner der Nazis hielten sich resigniert zurück.

Am 17. März 1933 wurde der SPD-Reichstagsabgeordnete Stefan Meier verhaftet, zusammen mit anderen Freiburger Sozialdemokraten und Kommunisten in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager verschleppt. Im Zuge der nationalsozialistischen Machteroberung wurden öffentliche Versammlungen der Ortsgruppen von KPD und SPD und der parteinahen Vereinigungen verboten und wenig später aufgelöst, auch in Waldkirch. Bürgermeister und kommunale Selbstverwaltungsgremien wurden gleichgeschaltet, ebenso die Freien Gewerkschaften. Die Selbstgleichschaltung der bürgerlichen Parteien ebnete deren Weg in die Diktatur Hitlers.[5]

  1. Goebbels´ grandioses Täuschungsmanöver

Wir machen einen zeitlichen Sprung in den April des Jahres 1940. Joseph Goebbels, der Nazi-Propagandaminister, hielt vor ausgewählten Parteijournalisten eine geheime Rede. In dieser ließ er sich triumphierend über das grandiose propagandistische Täuschungsmanöver aus, das den Prozess der nationalsozialistischen Machteroberung und wirklichen Ziele der NS-Regierungspolitik verschleiern half. So konnten die Zuhörer damals – und ebenso können wir es heute tun – einen seltenen Blick hinter die „braunen“ Kulissen werfen.

Bis jetzt sei es gelungen, führte Goebbels aus, die Gegner im Inland und im Ausland „über die eigentlichen Ziele Deutschlands im unklaren zu lassen“. Unsere innenpolitischen Gegner hätten bis 1932 gar nicht bemerkt, „wohin wir steuerten, dass der Schwur auf die Legalität nur ein Kunstgriff war. Wir wollten legal an die Macht kommen, aber wir wollten sie doch nicht legal gebrauchen.“ Man habe uns durch die Gefahrenzone hindurch gelassen, also durch die Phase der geheimen Aufrüstung, in der die deutsche Propaganda die Friedensschalmeien erklingen ließ. Genau so sei das in der Außenpolitik gewesen.

1933 hätte ein französischer Ministerpräsident sagen müssen (und wäre ich französischer Ministerpräsident gewesen, ich hätte es gesagt): der Mann ist Reichskanzler geworden, der das Buch ‚Mein Kampf‘ geschrieben hat, in dem das und das steht. Der Mann kann nicht in unserer Nachbarschaft geduldet werden. Entweder er verschwindet, oder wir marschieren. Das wäre durchaus logisch gewesen. Man hat darauf verzichtet. Man hat uns gelassen, man hat uns durch die Risikozone ungehindert durchgehen lassen, und wir konnten alle gefährlichen Klippen umschiffen, und als wir fertig waren, gut gerüstet, besser als sie, fingen sie den Krieg an.“ [6]

Der letzte Satz – die Anderen hätten den Krieg angefangen – war natürlich eine vollständige Umkehr der Fakten. Ansonsten jedoch entsprach der Rückblick des Nazi-Propagandaministers auf das Jahr 1933 und die Folgezeit durchaus den Tatsachen.

Ich habe diese Ausführungen ausführlich zitiert, weil ich denke, dass sie dazu beitragen können, die oft illusionäre Wahrnehmung der Nazi-Politik in der südbadischen Provinz besser zu verstehen.

9. Ein Fazit

Welche Erkenntnisse können wir aus der Erinnerung an den 30. Januar 1933 gewinnen?

  • Erstens: Viele – nationalistisch eingestellte – Menschen im Deutschland der damaligen Zeit erlebten die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler als Erfüllung lange gehegter Wünsche. Sie begrüßten die sogenannte „nationale Revolution“, trauerten der als schwächlich erfahrenen Weimarer Demokratie nicht nach, sehnten sich nach einem „Führer“ und nach Führung, und sie sympathisierten mit dem nunmehr zur Staatsdoktrin gewordenen Antisemitismus.
  • Zweitens: Die damaligen Anhänger der Demokratie, vorweg die deutsche Sozialdemokratie, waren in der Endphase der Weimarer Republik zwar willens, aber politisch nicht in der Lage, den Weg in die Katastrophe aufzuhalten. Heute wissen wir, dass damals mit der Demokratie auch der Frieden unterging.
  • Drittens: Vielfach haben wir die Forderung gehört „Wehret den Anfängen!“ Tatsächlich war es mit „Hitler an der Macht“ schon zu spät. Denn der ganze Apparat hörte jetzt auf das Kommando des Nazi-Kanzlers: das Militär, die Polizei, die Bürokratie, die Justiz. Ich möchte mit der nachdenklichen Frage eines jüdischen Mitbürgers aus Halle schließen:

Immer wieder heißt es heute:
"Wehret den Anfängen"/

doch erkennt man die/

Anfänge nicht immer erst/

dann, wenn es bereits nicht/

mehr die Anfänge sind?[7]

 

[1] Der Begriff „Machtergreifung“ wird bewusst nicht verwendet, da er irreführende Assoziationen erweckt. Er wird in der wissenschaftlichen Literatur allerdings noch immer benutzt, z.B. bei Joseph u. Ruth Becker (Hrsg.), Hitlers Machtergreifung 1933. Dokumente vom Machtantritt Hitlers. München 1983.

[2] Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933. Berlin, Bonn 1987.

[3] Wolfram Wette: Politik im Elztal. Ein historisches Lesebuch. Waldkirch 1990, Abschn. IV: Von der Republik zur Diktatur, S. 115.

[4] Ebda., S. 113.

[5] Siehe im Einzelnen ebda,, Abschnitt V: Von der Republik zur Diktatur. Die nationalsozialistische Machtergreifung 1933/34 in Waldkirch, S. 115-140.

[6] Geheime Erklärung von Reichspropagandaminister Goebbels am 5. April 1940 vor geladenen Vertretern der deutschen Presse. Auszugsweise abgedruckt in: Hans-Adolf Jacobsen, Der Zweite Weltkrieg. Grundzüge der Politik und Strategie in Dokumenten. Frankfurt/M. 1965, S. 180 f.

[7] https://www.gutefrage.net/frage/wehret-den-anfaengen-b…

 


 

 

Vortrag Dietrich Elchlepp

“Berlin ist nicht Weimar? Gefahren für unsere Demokratie heute.“

30. Januar 2023 Emmendingen, Altes Rathaus

 

Das Jahr 1933 zu verstehen, kann helfen, heutige Herausforderungen zu verstehen und zu meistern. Besonders im Hinblick auf die neue Gefährdung der Demokratie bei uns und in Teilen Europas.

Ich möchte nicht dramatisieren, stelle aber provokativ die Frage, ob unsere Republik wieder auf dem Weg ist, wie die von Weimar zu werden.

Wie sind heute Stärke und Erscheinungsform der Rechtsradikalen einzuschätzen?

Ich beobachte seit über 50 Jahren die rechtsradikale Szene und bekämpfe sie auch. Als wir Ende der 70 er Jahre in Freiburg mit der bundesweiten „Bürgeraktion zum Schutz der Demokratie“ die NPD aus dem Deutschen Bundestrag fernhalten konnten,(was Willy Brandt rechnerisch erst zur Kanzlerschaft verhalf) war es aus der Sicht unserer jüngeren Generationen undenkbar, dass völkisches Denken in unserem Land wieder auflebt.

Wir waren damals allgemein der Meinung „Bonn ist nicht Weimar“. Das würde ich auch heute sagen, inzwischen aber mit einigen sehr ernst zu nehmenden Vorbehalten:

Heute sitzen in unseren Parlamenten so viele Abgeordnete der Rechtsextremen wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Das ist besorgniserregend, wirft unsere Demokratie aber sicherlich nicht aus der Bahn. Die Bundesrepublik Deutschland ist unbestreitbar die größte Erfolgsgeschichte in dem Zusammenleben von Deutschen in einem Staat. Die Demokratie in Deutschland ist in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet und wehrhafter geworden.

Die Situation kann sich ändern. Wir müssen den Neustart von rechtsextremen Bewegungen und eines ideologischen, antidemokratischen Kerns frühzeitig bekämpfen. Inzwischen ist  Rechtsextremismus auch mitten in der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet ist. Nicht nur an den Rändern unserer Gesellschaft.

Anhänger und Wähler der Neuen Rechten treffen wir in allen Bildungs- und Einkommensschichten an. Es sind also nicht nur die wirtschaftlich „Abgehängten“ im Osten unseres Landes, die rechtsextrem wählen.

 Der Lebensstandard der unteren Mittelschicht in Europa sinkt. Wir erleben eine schwindende Legitimation des parlamentarischen Systems und die Abnahme der Bedeutung der Volksparteien.

Wir wissen aus der Geschichte, wie rasch ungünstige politische Großwetterlagen eine Gesellschaft verführen können, demokratiefeindliche Parteien an die Macht zu bringen. Nur zur Erinnerung: 1928 hatte die NSDAP einen Stimmanteil von 2,6 Prozent, bei den Reichstagswahlen 1933 bereits über 40 Prozent. Wir sehen heute einige bedenkliche Entwicklungen in Ungarn oder Polen, wo die Gewaltenteilung teilweise aufgehoben wurde oder nach Italien, wo eine Präsidentin, aus der neo-faschistischen Bewegung kommend, einen großen Wahlerfolg erzielen konnte. Bei den Landtagswahlen in Thüringen hatte fast  ein Viertel der Wähler AfD gewählt. Wer hätte je gedacht, dass die unter dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit stehende AFD in drei Bundesländern stärkste Partei wird und  bei Umfragen zeitweise bundesweit nur noch drei oder vier Prozentpunkte hinter der ehrwürdigen, ältesten Demokratiepartei, der SPD rangiert?

Der Bundesinnenminister hat bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts am 15. Juni 2021 u.a. festgestellt, dass die größte Bedrohung unseres Landes von den Rechtsradikalen ausgeht. Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz nachweist, sind z.B. Forderungen aus der AfD mit den Grundrechten wie Religionsfreiheit, dem Gleichheitsgrundsatz oder mit dem Schutz der Würde des Menschen unvereinbar. Die AfD, das große Sammelbecken der extremen Rechten, ist keinesfalls „national-konservativ“, wie sie behauptet, sondern von stark rassistisch und antidemokratisch denkenden Funktionären und Mitgliedern geprägt oder von ihnen möglicherweise schon dominiert. Sie steuere nahezu ungebremst in Richtung nach Rechtsaußen. „Kräfte, die versuchen, die extremistischen Tendenzen aus der Partei zu verdrängen, nehmen wir kaum noch wahr“, sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang. Auf der Bundesebene vermeide man eher klare rechtsextremistische Äußerungen, je tiefer man aber in die Parteistrukturen blickt, desto sichtbarer werden die fremdenfeindlichen, antisemitischen, völkischen Einstellungen. Dies zählt bei einer verfassungsrechtlichen Bewertung einer Partei ebenso wie ein weichgespültes Grundsatzprogramm!

Sicherlich sind auch andere Gruppen wie die „Reichsbürger“, keine ungefährlichen Randerscheinungen. Denn die ganze rechte Szene ist heute miteinander verwoben.

Viel gefährlicher erscheint mir, dass Millionen von Deutschen die Rechtsextremen in den Bundestag, in die Landtage, zunehmend auch in Kommunalparlamente wählen, wenn auch am deutlichsten im Osten. Viele unserer Bürgerinnen und Bürger neigen ganz offensichtlich Forderungen nach einem autoritären Staat zu, sagen es zwar nicht direkt, aber ihre Äußerungen verraten es. Es besteht die Befürchtung, dass der Bodensatz an rechtsextremer Gesinnung sich verbreitert und damit die Zustimmung zur parlamentarischen Demokratie abnimmt. Rechte Kommunikation versteht es geschickt,  an Instinkte wie Überlebensangst, Gefahrempfindung, Selbstverteidigung zu appellieren .

Der ehemalige Freiburger Bundesverfassungsrichter Andreas Voßkuhle hat davor gewarnt und es auf den kurzen Nenner gebracht:

Populisten wissen alles, Demokraten sind sich da nicht so sicher. Alles was Populisten sagen und in ihren Programmen beschreiben ist keinem Rechtfertigungszwang ausgesetzt. Die Bürgerbewegungen und die Rechtsextremisten verachten, was andere Parteien sagen und meinen das allwissende und moralisch reine Volk wisse besser zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Die Erkenntnis der Demokratie lautet hingegen, dass niemand im Besitz der einer absoluten Wahrheit ist."

( Andreas Voßkuhle “Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte“ Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Seite 223ff.)

 

Was sind die Einfallstore der Rechten, die unserer Verfassung deutlich widersprechen? Wo zeigen sich deutliche  Parallelen zur Weimarer Zeit?

Einige wenige Beispiele:

  • Wie schon die Völkischen der Weimarer Zeit haben viele AfD-Funktionäre ein ethnisch-biologistisches, bzw. ethnisch -kulturell begründetes Volksverständnis, wie schon früher die NPD. Es impliziert, dass nur Deutscher sein kann, wer als solcher geboren worden ist, also von deutschen Eltern gezeugt wurde. Somit könnte auch die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung für Personen mit fremder ethnisch-kultureller Herkunft ausgeschlossen werden.  Dies verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung. Es gab einen Vorschlag aus der AfD, ausländischen Arbeitnehmern, bei uns nicht die gleiche Rente bei gleicher Arbeitsleistung und gleichen Einzahlungen zu gewähren.
  • Die AfD möchte auch ohne konkreten Anlass die Überwachung aller Moscheen und damit eine Schlechterstellung und Herabwürdigung der Muslime. Es wird gefordert, dem Islam den Zutritt nach Deutschland und Europa zu verweigern. In letzter Konsequenz lässt sich hier ein mögliches Verbot des Islam in Deutschland herauslesen indem zum Beispiel der Bau islamischer Gotteshäuser verboten werden soll. Aber auch der Bau von Moscheen fällt unter den Schutz der Religionsfreiheit im Grundgesetz. Wenn Minderheiten zu Sündenböcken gemacht werden, hat Gewalt ihren freien Lauf, wie die Ereignisse von Hanau zeigen.
  • Wurde in der Weimarer Zeit von den Nationalsozialisten und ihren Vorläufern die Legende gestreut, Deutschland werde eingekreist, die Welt wolle den Deutschen durch Tributzahlungen aus dem Versailler Vertrag die Luft abschnüren, so wird heute mit einem abgewandelten Narrativ ähnlich gesprochen. Der AfD-Landesvorsitzende von Thüringen, Björn Hocke, warnte auf dem AfD-Bundesparteitag am 11. April 2021 vor der „kulturellen Kernschmelze Deutschlands durch Zuwanderung“.  Die demokratischen Regierungen planten bei uns einen großangelegten Bevölkerungsaustausch durch eine freizügige Einwanderungspolitik. Die Deutschen hätten bald im eigenen Land nicht mehr zu sagen, es stehe eine feindliche Übernahme unseres Staates durch Geflüchtete, „Fremdländische“ bevor. Björn Höcke will nicht einmal den Familiennachzug für Menschen erlauben, die als anerkannte Geflüchtete gelten.
  • Besonders auffällig ist die permanente Herabwürdigung der Leistungen und Verächtlichmachung des demokratischen Staates und seiner Repräsentanten, denen unterstellt wird, gegen die eigentlichen Interessen des Volkes zu handeln. Ähnlich wie die NSDAP spricht die heutige Rechte von „Altparteien“, die abgewirtschaftet haben. Und dass man sie jagen werde, sobald die AfD erst einmal an der Macht ist. Die Kritik an der Regierungsarbeit der demokratischen Parteien ist aus dem Munde von Alice Weidel oder anderer Führungspersonen stets systemverachtend vorgetragen. Sie behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei auf allen Gebieten dem Bankrott nahe.
  • Systematisch bereiten die Rechten im Bundestag den geistigen Boden für eine Re-Nationalisierung der Politik und eine Abkehr von Europäischen Union. Der Parteitagsbeschluss der AfD zum Ausstieg aus der Europäischen Union war eine klare Kampfansage vor. Die Rechtsradikalen verstärken das Gefühl, die Deutschen würden von ihren Nachbarn als Zahlmeister Europas ausgenommen. Man habe die Souveränität des Landes untergraben und abgegraben und eine „Schuldenunion“ in Europa ermöglicht. Wohlstand und Wachstum in unserem Land gehe nur auf nationaler Ebene mit nationaler Legitimation und nationaler Entscheidung. Deshalb fordert sie „Weg aus diesem ganzen System, weg vom Euro“. In unserem Grundgesetz steht aber, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nach Europa öffnen soll.

„Diese Unerbittlichkeit, dieser Aggressionsstil gegen die Regierung und seine Repräsentanten findet keinen Raum in unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung

Professor Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts (Andreas Voßkuhle “Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte“ surkamp taschenbuch wissenschaft)

  • Eine Parallele zu Weimar sehe ich im Geschichtsverständnis der Rechten. Sie verdrängen das geschichtliche Erinnern an das Böse und verdrängen damit die Empathie, die wir den Geschundenen und Ermordeten der Vergangenheit unverjährbar entgegenbringen sollten! Mit dem Ruf nach einem revidierten deutschen Geschichtsbild verharmlost die AfD indirekt die Verbrechen des Dritten Reichs. Die Beschwörung geschichtlicher Größe der Deutschen betreibt           Alexander Gauland, wenn er behauptet, die NS-Zeit sei nichts weiter als ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte gewesen. Der AfD Kreisverband Freiburg meint auf seiner Homepage “Das Deutsche Kaiserreich war der freieste Staat der deutschen Geschichte“. Das ist wohl kein Bekenntnis zum Grundgesetz!

 

Muss es zwangsläufig Menschen in die Arme der Rechtsradikalen treiben, wenn in der Demokratie nicht alles zum Besten läuft?

Nun könnte man eine Reihe von Gründen nennen, weshalb die Rechte so stark geworden ist und einen beängstigenden, hohen Gleichstand in der Wählergunst aufzeigt. Sicherlich war es u. a. die unerwartete Flüchtlingswelle auf die 2016 niemand vorbereitet war.

 Keine Frage, wir haben trotz großen Wohlstands im Lande noch einen großen Nachholbedarf an Infrastrukturinvestitionen in vielen Landstrichen. 

Aber denjenigen, die den Aufstieg der Rechten nur als eine Folge gesellschaftspolitischer Entwicklungen oder ökonomischer Missstände betrachten und daher als schicksalhaft erklären, möchte ich Folgendes in Erinnerung rufen:

Ängste in der Bevölkerung, die zu den spektakulär hohen Wahlerfolgen der Neuen Rechten führen, beruhen keineswegs nur   auf Versäumnissen in der Gesellschaftspolitik. Es handelt sich in starkem Maße um das Ergebnis künstlich geschaffener Ängste, die von den Rechten gezielt durch Verbreitung falscher Tatsachen und Zahlen in das öffentliche Bewusstsein „eingeimpft werden“.

Um sich als Retter der Nation, als Beschützer der Deutschen vor drohender „Umvolkung“, vor Kriminalität durch Zuwanderer und Geflüchtete zu stilisieren. Werden Untergangsszenarien und falsche Zahlen nicht widerlegt, dann setzt sich ein Misstrauen gegenüber dem demokratischen Staat fest.

Ich möchte an dieser Stelle Inge Auerbacher zitieren, eine Holocaust- die 1934 in Kippenheim geboren wurde und noch fliehen konnte nach New York:

„Kein Mensch ist mit Hass geboren.  Er wird den Menschen beigebracht.“

 (Badische Zeitung „Hass wird erlernt“ Badische Zeitung 3.2.2022)

Ich werde manchmal gefragt, ob Gegenargumente überhaupt eine Chance hätten, gehört zu werden, wo Politik doch vorwiegend über Emotionen läuft? Sollten wir die Rechtsradikalen nicht einfach ignorieren, in der Hoffnung, dass sich der Spuk von selbst auflöst?

Nein, auf keinen Fall. Es gibt keine Toleranz für die Feinde der Demokratie. Unsere Demokratie zu verteidigen, sollte selbstverständlich sein. Man wertet Rechtsextreme nicht auf, wenn man sich ihnen argumentativ entgegenstellt. Ihr Stammwählerpotential ist inzwischen zu groß, um sie zu ignorieren. Ihre Aufwertung ist im Übrigen längst durch Presse und Talkshows erfolgt. Es macht also keinen Sinn n, von einer rationalen, auf Fakten gestützten Auseinandersetzung mit der Rechten abzuweichen.

Selbstverständlich sollte jede argumentative Auseinandersetzung mit den extremen Rechten auch emotional erfolgen. Die Demokratie muss emotional verteidigt werden.

Ich bin gebeten worden, hier zu erwähnen, dass wir 2016 in Freiburg und Denzlingen die überparteiliche „Bürgerinitiative für Toleranz und Demokratie“ ( https://toleranz-und-demokratie.de ) gegründet haben, um mit Flugschriften und Plakatentwürfen die Unwahrheiten und Halbwahrheiten der Rechtsextremen aktuell und gut recherchiert zu widerlegen. Wir möchten Gruppierungen unter die Arme zu greifen, die sich vor Ort dieser Aufgabe annehmen.

Denn es gibt keine verabredete Regierungspolitik, die auf den Austausch unserer Bevölkerung gegen Flüchtlinge aus dem arabischen Raum oder Afrika abzielt. Es gibt keine europäische Finanzpolitik, die der Ausräuberung deutscher Finanzen dient. Es gibt keine Massenabwanderung deutscher Betriebe ins Ausland, weil die Energie bei uns zu teuer ist.   

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die auf den Marktplätzen und Straßen vielleicht zum ersten Mal unsere Entgegnungen auf rechte Parolen gelesen hatten, nachdenklicher nach Hause gehen. Ich freue mich, dass einige unserer Mitstreiter und Mitstreiterinnen heute Abend unter uns sind, die später befragt werden können.

Einige Schlussfolgerungen

  1. Wir dürfen die rechtsextremistische Verleumdung unseres demokratischen Staates nicht hinnehmen oder aus Bequemlichkeit wegschauen. Wachsamkeit ist geboten, man darf nicht wieder überspielt werden, wie 1933 auch nicht die Konservativen. Wir brauchen mehr den spontanen Widerspruch im Alltag, wenn Rassismus und Fremdenfeindlichkeit laut werden. Antidemokratisches beginnt im Kopf und wandert letztendlich über den Arm zur Vernichtung Andersdenkender, wie die Ereignisse von Hanau gezeigt haben. Wenn der Polizeistaat einmal etabliert ist, ist es zu spät zu handeln.

 

  1. Die Politik darf sich nicht tatsächlichen Problemen verschließen und unbequeme Maßnahmen vermeiden, nur weil die Rechten sie benennen. Damit bestimmte  Bevölkerungsgruppen sich in der Demokratie nicht allein gelassen fühlen und leichte Beute der Rechtsradikalen werden.

  1. Unseren Mitbürgern und Mitbürgerinnen sollten wir anschaulich machen, wie sie von den Rechtsextremen hinters Licht geführt und  verängstigt werden. Deutlich sagen: „Wer das Volk liebt, der belügt es nicht“. Wir müssen in allen Schichten der Bevölkerung die Einsicht wecken, dass Träumereien vom alten Nationalstaat keine Lösung   unserer Probleme von morgen sein können; indem wir die ungünstigen Auswirkungen der Renationalisierung von Politik auf unser tägliches Leben anschaulich machen: Wer sich ausländerfeindlich verhält, kann nicht erwarten, dass die zwingend notwendige Einwanderung von Fachkräften auch zum Erhalt der einheimischen Arbeitsplätze und Betriebe gelingt. Wer die finanziell schwächeren Staaten Europas nicht stützt, der verliert dort wichtige Absatzmärkte und damit Arbeitsplätze zu Hause.

  1. Die Mitglieder der demokratischen Parteien sollten sich für die argumentative Auseinandersetzung mit der extremen Rechten gut schulen. Es bildet sich -noch bei einer Minderheit- ein antidemokratischer Ideologiekern heraus. Starke Parteistrukturen gepaart mit zivilgesellschaftlichem Engagement müssen ein Instrumentarium bieten, um die Spaltung der Gesellschaft einzudämmen. Wir   benötigen breite Bündnisse vor Ort, in denen neben demokratischen Parteien und Vertreter von Behörden auch zivilgesellschaftliche Initiativen, Kirchen, Gewerkschaften und andere mitwirken. Eine deutliche Positionierung von Entscheidungsträgern wie Bürgermeister und Gemeinderäte wäre hilfreich. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei seiner Antrittsrede im Deutschen Bundestag zum gesellschaftlichen Handeln gegen die Hassprediger aufgerufen:

“Wir müssen über Demokratie nicht nur reden, wir müssen wieder lernen, für sie zu streiten“

(Antrittsrede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 22.03.2017 im Deutschen Bundestag)

 

Machen wir uns also an die Arbeit!  Mit Leidenschaft! Die Geschichte schaut auf uns.

 


 

 
 

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